Diamantenjagd

tl_files/images/lenti02.jpgDer 21.03.2002 beginnt, wie schon der vorhergehende mit Schwierigkeiten. Der Mistral ist deutlich schwächer geworden im Vergleich zum Vortag, es scheint nicht mehr so einfach zu sein, die 5000 m Startüberhöhung, die man für den Höhendiamanten der FAI braucht zu ergattern.

Während ich meinen Barographen vorbereite, denke ich an gestern, da hatte ich sie schon, die 5000 aber die Tücken der Technik haben den Beleg dafür verhindert. Die Barographennadel hatte "in die Luft geschrieben", weil ich beim wechseln der Filznadel versehentlich den Schreibarm so weit zurückgebogen hatte, dass die Nadel anschließend das Papier nicht mehr berührte.

Jetzt, am vorletzten Tag des Urlaubs weht der Wind nicht so wie er soll, nahezu schlaff hängt der Windsack am Mast und die Hoffnung auf den Diamanten ist nur gering. Trotzdem unterschreibt der Sportzeuge vorsorglich das Barographenblatt und ich klettere in die VV, die wie an fast allen Tagen ganz vorne in der ca. 80 Flugzeuge zählenden Startreihe steht. Gleich dahinter hat sich Arne eingereiht, danach folgen alle anderen Aero Club Flugzeuge und erst dahinter stehen die Flugzeuge der restlichen Gastpiloten.

Unmittelbar nach dem Briefing beschliessen wir zu starten. Bei dem jetzt etwas aufgefrischten Wind aus Nordwest mit etwa 20 km/h am Boden verspreche ich mir einigermaßen Hangaufwind am Gache, südöstlich des Flugplatzes. Die Schleppmaschine, eine Morane mit kräftigem neuen Motor schleppt so gut, dass ich mich gar nicht erst bis zum Hang schleppen lasse, sondern ich klinke schon ca. einen Kilometer vor der vermuteten Aufwindzone in 1100 m aus und fliege ran an die Felsen.

Etwas verblüfft stelle ich fest, dass der Hang nicht trägt, schnell sind 100 m "verbraten" und guter Rat teuer. Arne hat auch schon ausgehängt und fliegt auf den Gache zu. Ich gleite zum La Baume, der die letzte Rettung darstellt. Wenn er nicht "geht" dann ist die Landung in Sisteron unvermeidlich, vorausgesetzt man hat noch genügend Höhe. Aber wie schon Herby, mein früherer Partner in seiner unnachahmlichen Art an diesem Abend bei der Schilderung meiner Gedanken bemerkte: "Wo ist das Problem, wenn der Wind stärker ist, dann geht der Hang und wenn er zu schwach ist, kommst Du doch locker zum Platz zurück!" Wo er recht hat, hat er recht.

Jedenfalls trägt der La Baume bei der Ankunft in 890 m wenigstens soweit, dass ich nicht gleich absaufe. Nach einigen bangen Augenblicken kann ich mit kurzen Achtern eng am Hang auf 1.300 m steigen und zum Gache zurückfliegen. In dieser Höhe trägt der Hang sehr gut und das erste Ziel, nämlich so tief wie möglich anzufangen um die 5000 m legal ersteigen zu können ist, wenn auch wider Willen erreicht. Die niedrigste Höhe am La Baume, so ergibt die spätere Auswertung mit StrePla beträgt 880 m, wenn ich also jetzt noch den zweiten Teil wahr machen will, dann muss ich mindestens auf 5.880 m steigen.

Nach einigen erfolglosen Versuchen, die sich langsam aufbauende Thermik unter anderem am l`Hongrie zu nutzen, beschließe ich dem Beispiel einiger anderer Piloten zu folgen und den klassischen Weg über die Lure und die Welle über dem Jabrontal zu nutzen. Der Wind hat deutlich zugelegt, am Platz wird schon von Nordwest mit 40 km/h und mehr gesprochen.

Einer der ersten Piloten namens Robert, die zur Lure geflogen sind, berichtet dass es dort gehe, "wie die Sau", worauf Rudi, der Pilot einer ASH25 meint, dass es auch ganz kleine Säue gäbe. Aber wie dem auch sei, ich vertraue auf die Welleneinweisung der französischen Fluglehrer schon seit vielen Jahren und der Einstieg über die Lurekante ist mir noch nie mißglückt.

Mit einer Sicherheitsschleife etwas östlich der Lurespitze steigt die ASW22 auf etwas über 2000 m über den Antennen der Lure und jetzt muss auf dem Flug nach Norden "nur noch" die Welle gefunden werden. Uwe mit der DG 800 und Arne mit der Vereins-LS4a etwas tiefer als die Langohren fliegen fast gleichzeitig von der Lure ab nach Norden.

Während Uwe und ich nach nur kurzem Flug mit einem energischen ziehen am Höhenruder in die Welle schlüpfen, bleibt die LS4 knapp unterhalb der Welle und Arne kann uns nur bedauernd dabei beobachten, wie wir schnell im laminaren Steigen der Welle nach oben verschwinden.

In 3100m wird das Steigen so schwach, dass es nicht lohnt hier noch Zeit zu verbringen. So fliege ich hoffnungsvoll Richtung Méougetal und hoffe dem dortigen Rotor zu entgehen und gleich laminar einsteigen zu können. Tatsächlich gibt die Méougewelle gutes Steigen von 2-3 m/s und nur die Höhenbeschränkung auf FL 115 verhindert ein weiteres Verbleiben in dieser Welle.

Der logische weitere Weg wäre jetzt, Richtung Serres und Aspres nach vorne zu fliegen, um dort weitere Wellen zu finden. Die Sicht ist zwar phantastisch, aber leider bilden sich keinerlei Wolken, weder Lentis noch Rotorwolken aus, so dass es ein bißchen Glückssache ist, die nächste Tankstelle zu erahnen und zu nutzen. Da helfen die Funksprüche der früher gestarteten Kollegen schon etwas weiter.

Die Meldung: "An der Badewanne über dem kleinen See geht es mit 2 m/s!" ist allerdings etwas ungenau, weil es an der Montagne de St. Genis, so heißt die Badewanne wirklich, zwei kleine Seen gibt und der meldende Pilot ist sich selbst nicht ganz sicher über welchem er sich denn nun befindet.

Da hört sich die Meldung von Robert im DuoDiscus "71" schon deutlich besser an: "Genau nördlich vom östlichen Ende der Crête de Celles, beim QDM 025°/9,6 km von Gap-Tallard gehen 3 m/s laminar weg, Einstieg in 2300m. Das ist leicht zu schaffen, auch wenn der Wind jetzt schon mit strammen 40 Knoten aus 310° bläst. 20 Minuten nach dieser Meldung sind Uwe und ich am entsprechenden Ort angekommen und tatsächlich steigt es dort laminar mit mehr als 3 m/s. Die Welle wird aber nach oben hin immer schwächer und in 3500m beträgt das Steigen nur noch wenige Zentimeter. Uwe entschließt sich, Richtung Pic de Bure abzufliegen. Gemeldet wird kräftiges "Saufen" vor dem Pic und der Einstieg liege an der Tête de Clappe in 2400m, nach oben hin soll sich laut Paul, dem Piloten der ASH25 mit dem Kennzeichen PA das ganze nach Osten verlagern.

Während ich, noch etwas unsicher Uwe beobachte bei seinem mutigen Vorflug, bin ich in 3800 m angelangt. Das Steigen hat völlig aufgehört und mir bleibt nichts anderes übrig als ebenfalls nach Norden auf das mächtige Massiv des Pic de Bure vorzufliegen. Ich habe gehörigen Respekt vor diesem Berg, seit ich vor einigen Jahren bei meinem ersten Versuch die dortige Welle zu erobern von einem Rotor durchgeschüttelt wurde, der mir zum ersten Mal in meinem bis dahin immerhin schon 24 Jahre währenden Segelfliegerleben so etwas wie "Todesangst" zu spüren gab.

Seit diesem Erlebnis nähere ich mich dieser "Königswelle" nur mit äußerster Vorsicht und niemals unter 3.000 m Höhe. Der Rotor des Pic de Bure reicht aber manchmal auch wesentlich höher hinauf. Am gestrigen Tag konnten Reinhold und ich aus dem Cockpit des Janus in völlig ruhigem Steigen in 3.800 m Höhe aus nächster Nähe einen Ventus beobachten, der nur wenige hundert Meter neben uns mitten in den Wolkenfetzen des Rotors mit Steilkreisen versuchte Höhe zu gewinnen. Er war wohl so mit dem Fliegen beschäftigt, dass er unseren ruhig in der Welle stehenden Flieger gar nicht sah und sich überflüssigerweise von den Turbulenzen des Pic de Bure Rotors durchschütteln ließ.

Während ich auf die östliche Spitze des Pics ziele, sehe ich die DG800 von Uwe weit unter mir eine Linkskurve fliegen. Er muss noch einmal einen Anlauf unternehmen, der ihm dann letztlich auch glückt, so dass er ebenso wie viele andere an diesem Tag das Panorama Südfrankreichs aus über 5500 m Höhe in sich aufnehmen darf.

Die VV jedenfalls hat den richtigen Kurs und das Glück an diesem Tag offenbar gepachtet. Mit einem Höhenverlust von 500 m erreiche ich die Pic de Bure Welle am östlichen Absturz des Massivs und erstmals an diesem Tag brauche ich die Sauerstoffmaske. Die Welle hebt mich mit sanften 2 - 3 m/s auf 5.350 m, bevor sie schwächer wird. An sehr guten Tagen oder auch aus niedrigeren Höhen heraus kann man durchaus auch Steigwerte von 8 m/s erleben. Michi Wetzel mit seiner ASW20 wurde am selben Tag einige Stunden später aus etwa 2.500 m mit mehr als 10 m/s angehoben.

Das Zwischenziel, nämlich erst mal die 3.000 m Startüberhöhung für das Goldene Leistungsabzeichen zu erreichen, war mühelos geschafft, jetzt galt es "nur noch" ein paar Meter dazu zu machen, um auch den Diamanten zu kriegen. Der etwas planlose Vorflug erst Richtung Norden, dann nach Nordwesten endete mit keinem besonderen Ergebnis, weder gewinne ich Höhe, noch verliere ich sehr viel, also zurück zum Pic de Bure und einen zweiten Anlauf starten.

Am Pic de Bure geht es gleich wieder nach oben, einige andere Flieger kann ich östlich meiner Position beobachten, wie sie hoch über mir immer noch steigen und weiter nach Osten versetzt werden. Das gleiche mache ich jetzt auch, ich fliege keine Schleifen mehr sondern stelle das Flugzeug gegen den Wind. Bei einem Steuerkurs von 340° und einer angezeigten Geschwindigkeit von 110 km/h meldet das GPS einen Track von 075° und eine Groundspeed von 11 km/h, langsam aber sicher nähert sich die VV der angestrebten Höhe, Meter um Meter klettert der Höhenmesser nach oben und schließlich sind 5.880 m überschritten, ich stelle das LX5000 auf 1013,2 hPa und steige solange weiter, bis der Höhenmesser FL 195 anzeigt, das ist die von der Flugsicherung gesetzte Obergrenze des Segelfluggebietes von Südfrankreich. Die spätere Auswertung ergibt eine Höhe von 5.985 m.

Jetzt beginnt der letzte Teil dieses Fluges, das Abgleiten der gewaltigen Höhe. Endlich habe ich die Ruhe um mich ausschließlich auf den Genuß des unbeschreiblichen Panoramas der südfranzösischen Seealpen zu konzentrieren.

Im Norden glaubt man die Perle des Departements Hautes-Alpes Grenoble mit Händen greifen zu können. Die Ecrins im Nordosten glitzern und glänzen im Sonnenlicht und sind doch "nur" Vorgebirge des gewaltigsten Massivs der europäischen Alpen, des Mont Blanc, der jetzt im Frühjahr tatsächlich völlig weiß ist. Der Blick schweift über das Aostatal zum Matterhorn und Monte Rosa, streift den Mont Viso in Italien und die Poebene, dort herrscht heute an diesem Ausnahmetag, selten genug, klare Luft und so kann man Turin erahnen.

Deutlich auszumachen, der Grand Canyon du Verdon im Süden, die Küstenlinie der Cote d´Azur ist erkennbar und weiter in der Runde streift der Blick den Mont Ventoux im Südwesten und das Rhonetal blinkt grünlich von Westen herüber. Noch nie habe ich alle diese Landschaften auf einmal betrachten können und unvergeßlich wird er bleiben, dieser Flug zur Sonne und zurück.

Am Ende eines solchen Fluges wartet noch ein gehöriges Stück Arbeit auf die Piloten, der Wind am Boden kommt leider nicht direkt von vorne sondern bläst mit vollen Backen aus 310° mit 60 km/h und Böen bis 80 km/h. Da ist es nicht verwunderlich, wenn der eine oder andere Anflug etwas wackelig aussieht. Aber endlich ist auch der letzte Flieger an diesem Tag gelandet und verzurrt.

Beim Abendessen im Le Janus strahlen alle Gesichter. Noch nie habe ich z. B. Horst Brettel mit solch glücklichen Augen herumlaufen sehen, die mittlerweile weißen Haare nach allen Richtungen gesträubt, Sepp Hargesheimer erzählt immer wieder seine Geschichte ebenso wie Uwe und Reinhold und Arne, und, und, und.

Es war ein toller Tag, dieser 21. März 2002 in Sisteron.

Wer will kann sich diesen Flug wenigstens über StrePla "reinziehen", die entsprechende Datei könnt ihr hier herunterladen.

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Noch ein kleiner Nachtrag: Nachdem ich wieder zuhause angekommen war, schickte ich das Barogramm zur Auswertestelle an der Uni Stuttgart. Schon bald danach erhielt ich Post mit der Bestätigung, dass ich einen Höhengewinn von genau 4.987 m erzielt hätte.

So kommt es, dass ich bis heute meine Gold-C und die 3 Diamanten niemals eingereicht habe, wegen 13 Metern. Diese kleine bittere Pille habe ich aber ganz locker verschmerzt und sie hat mein Flugerlebnis in keiner Weise geschmälert.