300 km mit der Frommen Helene

tl_files/imgtmp/ka6.jpgSchon bei der Jahreshauptversammlung im Februar des Jahres 1976 wurde vom Vorstand bekannt gegeben, dass im Juni ein Fliegerlager im Altmühltal geplant sei. Der dortige Flugplatz Beilngries liegt in einem Thermikparadies. Wenn das Wetter passte, wollten wir von dort aus so viele Streckenflüge wie möglich machen. Toni, der junge Fluglehrer war da die treibende Kraft, der Ausbildungsleiter Sepp eher der „Bremser“, wegen der vielfältigen Gefahren, die man bei Außenlandungen angeblich zu gewärtigen hatte.

Am 5. Juni 1976 war es dann soweit, der komplette Verein mit allen Flugzeugen und einem Großteil der aktiven Piloten mitsamt familiärem Anhang machte sich in Beilngries breit. Gleich an diesem ersten Nachmittag bekam ich von Toni im Bergfalken IV eine Einweisung in die Platzverhältnisse und den Auftrag, für morgen schon mal eine Streckenplanung zu machen.

Folgsam plante ich also den ganzen Abend diverse Strecken in alle möglichen Richtungen in einer Größenordnung um die 150 km oder eher etwas weniger. Eine Steigerung meiner Strecke um etwa das dreifache erschien mir schon sehr wagemutig und an noch größere Strecken, wie zum Beispiel die für den Erwerb des goldenen C-Abzeichens der FAI erforderliche Zielstrecke von 300 km oder gar 500 km freie Strecke konnte ich mir gar nicht richtig vorstellen, geschweige denn planen.

Am nächsten Tag, dem Pfingstsonntag bot mir Schnackerl dann die Ka6 an für einen Überlandflug und fragte, was ich denn geplant hätte. Ich zeigte schüchtern die präparierte Karte für ein 150 km Dreieck und bekam eine unerwartete Antwort. Schnackerl meinte mit einem Grinsen im Gesicht: „Also wir sind doch hier nicht zum Spaß, heute ist „Hammerwetter“, entweder Du meldest ein 300 km FAI-Dreieck an, oder ich gebe das Flugzeug jemand anders!“

Peng, das hatte gesessen, natürlich hatte ich schon mal an ein 300er gedacht und auch geplant, aber das ich meine bisher geflogene Strecke gleich versechsfachen sollte, jagte mir doch einen Schauer über den Rücken. Dennoch, das Flugzeug und den Flug wollte ich mir ja auf keinen Fall entgehen lassen, also meldete ich ein gleichschenkliges Dreieck mit Wendepunkten bei Crailsheim Bahnhof und Bamberg Flugplatz an.

Jeder Schenkel des Dreiecks war, so wie das die FAI, die Fédération Aviation International forderte, etwa gleich lang. Die Bedingungen für ein FAI-Dreieck sind erfüllt, wenn kein Schenkel kürzer als 28% der Gesamtstrecke und der längste nicht länger als 45% der Gesamtstrecke ist, diese Forderungen erfüllte mein Dreieck locker.

Da meine Strecke die zweitlängste angemeldete Strecke für diesen Tag war, Toni hatte mit der ASW 15 gleich 500 km angemeldet, durfte ich auch als Zweiter starten. Per Flugzeug-Schlepp ging es auf 1.000 m über Grund, mit der eingebauten Kamera fotografierte ich den Abflugpunkt, also den Flugplatz von Beilngries aus Osten und los ging´s. Toni war schon 30 km weit weg und ich kurbelte mich erst mal auf satte 2.200m und richtete den Bug der Frommen Helene tapfer nach Westen.

Eine Stunde später wendete ich über dem Bahnhof von Crailsheim, schoss das entsprechende Wendepunktfoto und dachte bei mir: „Das ist ja ganz einfach, ich bin in 3 Stunden rum um das Ding, ich weiß gar nicht was die anderen immer so ehrfurchtsvoll von dieser „Riesenstrecke“ sprechen.“

Was ich nicht bedacht hatte, an diesem Tag herrschte ein kräftiger Nordostwind mit annähernd 40 km/h. Er hatte mich vorwärts getrieben bis zur ersten Wende, ohne dass ich dieser Unterstützung gewahr wurde. Nachdem aber die ersten 100 km geschafft waren und der Kurs Richtung Bamberg anlag, stellte ich mit Erstaunen fest, dass die vorausliegende, quer zum Kurs verlaufende Autobahn A6 einfach nicht näher kommen wollte.

Nach abgeflogenen 1.000 Höhenmetern war ich knapp davor und trotz des guten Steigens von etwa 2 m/s konnte ich sie, nachdem ich den Bart bis auf 2.200m ausgekurbelt hatte voraus kaum noch ausmachen, ich war wieder über dem eben fotografierten Bahnhof von Crailsheim. Jetzt wurde mir klar, dass die Sache wohl nicht so einfach werden würde, wie gedacht.

Nachdem ich endlich nach mehreren Versuchen die Autobahn hinter mir gelassen hatte und als nächsten Auffangpunkt die Stadt Rothenburg ob der Tauber bereits zum vierten Mal knapp voraus auftauchte, beschloss ich die Taktik zu verändern, ich riskierte es, weit herunterzufliegen und nur die wirklich stärksten Bärte auszukurbeln. Das führte dazu, dass ich deutlich besser vorwärtskam, auch wenn die Außenlandegefahr entsprechend wuchs.

Nach über vier Stunden und weiteren 100 km konnte ich endlich den Flugplatz von Bamberg erreichen, in niedriger Höhe überfliegen und aus dem richtigen Fotosektor auf einem Bild festhalten. Der schwierige Gegenwindschenkel war gemeistert. Ich war fertig mit den Nerven und meine Kondition war ebenfalls ausgeschöpft. Nach 5 ½ Stunden fehlten immer noch 100 km, ich hatte den Glauben an eine erfolgreiche Umrundung bereits verloren und wollte nur noch so nahe wie möglich an den Heimatflugplatz heranfliegen.

Immerhin ging es jetzt wieder einigermaßen schnell voran, die Thermik war nach wie vor stark und zuverlässig und bald zog die riesige Stadt Nürnberg rechts an mir vorbei. Das navigieren nach Karte hatte ich mittlerweile ziemlich eingestellt, ich wollte nur noch nach Süden, so weit wie nur irgend möglich, hätte mich jemand gefragt, wo ich denn genau sei, ich hätte nur antworten können, irgendwo bei Nürnberg.

Langsam ließ jetzt nach fast 7 Stunden Flug die Thermik deutlich nach, ich schaffte es einfach nicht mehr, bis an die Wolkenbasis zu kurbeln, wohl auch weil ich mit meinen mentalen Kräften am Ende war. Entlang der Autobahn A9 hangelte ich mich von Aufwind zu Aufwind. Dann fiel mir etwas auf, die Autobahn, die bisher relativ geradlinig verlief machte einen deutlichen S-Schlenker, auf der ICAO-Karte war aber nur ein einziger S-Schlenker zu sehen und der lag….

.. genau westlich von Beilngries im Altmühltal!

Ein Blick nach links, da war der Flugplatz! Viel zu hoch war ich, um direkt anfliegen zu können, also nichts wie Bremsklappen raus und runter, endlich runter, ich hatte es geschafft! Nach 7 Stunden und 55 Minuten setzte ich, mit einer meiner zweitbesten Landungen die brave Ka6 auf die Landebahn von Beilngries und konnte vor Glück und Erschöpfung gar nicht gleich aussteigen.

Die erste Frage, die ich nach diesem geglückten Flug zu beantworten hatte, kam vom Ausbildungsleiter und sie lautete: „Wieso kommst du denn, von Westen, dein letzter Wendepunkt lag doch im Norden?“ Erst dann fragte Gerhard, einer der älteren erfahrenen Piloten: „Bist du rumgekommen?“ Mit einem Kopfnicken bestätigte ich das und schon war Edith da mit der Schere in der Hand, ich hatte nämlich vor dem Start versprochen, dass ich mir meinen Vollbart abschneiden lassen würde, wenn ich um dieses Dreieck rumkommen würde.

Es wurde dann noch ein sehr vergnüglicher Abend, das Freibier floss in Strömen, denn auch Schnackerl hatte seine 500 km geschafft. Kleiner Wermutstropfen, der Flug musste damals ja noch mittels Wendepunktfoto und Barogramm  nachgewiesen werden, der Film mit den Fotos durfte nicht zerschnitten werden. Ob also alles gelungen war, wusste man erst, wenn die Fotos vom Entwickeln zurückkamen. Nun, mein Filmnegativ wurde genau zwischen erster und zweiter Wende zerschnitten, und schon unmittelbar nach der Landung stellte Gerhard fest, dass der Barograph so gründlich in Schaumstoff eingepackt war, dass sich zwar die Nadel noch auf und ab bewegen konnte, aber die Trommel mit der eingerußten Folie war blockiert und konnte sich während des Fluges nicht drehen, so schrieb die Nadel 7 Stunden und 55 Minuten lang immer auf derselben Stelle eine glänzende Spur in die Rußschicht.

Dieses kleine Missgeschick konnte meine Freude über den gelungenen Flug aber in keiner Weise dämpfen, ich war überglücklich und wusste, das war der Anfang einer großen Fliegerkarriere!

Großzügig unterstützte ich jetzt meine Fliegerkameraden bei der Vorbereitung und Durchführung ihrer Streckenflüge. Außer einem Fluglehrer schaffte keiner mehr diese 300 km Strecke und ich war überzeugt, mir war Großes beschieden.

Am Ende des Fliegerlagers bekam ich dann erneut die Gelegenheit mit der Ka6 ein 300er anzumelden. Dieses Mal wollte ich, bei ähnlichen Bedingungen ein etwa gleich großes Dreieck fliegen, aber weil ich das im Uhrzeigersinn ja schon konnte, plante ich den ersten Schenkel nach Norden, dann nach Südwesten und schließlich am Abend mit etwas Rückenwind wieder nachhause.

Leider kannte der Wind meine Planungen nicht und so quälte ich mich auf dem ersten Schenkel nach Bayreuth bereits mit ähnlich kräftigem Wind, wie beim vorhergehenden Flug. Kaum waren 3 ½ Stunden vorbei, schon hatte ich nur noch ca. 20 km bis zur ersten Wende vor mir, die Zeit, weit fortgeschritten, veranlasste mich dann zur Umkehr. Der Heimweg von ca. 80 km war ja wohl nur noch ein Klacks für einen Crack wie mich, so dachte ich und wurde vom Fliegergott wieder einmal auf Normalmaß zurückgestutzt.

Am Funkturm von Hormersdorf endete dieser Flug mit einer Außenlandung, die mich noch lange beschäftigt hat. Fest davon überzeugt, dass auch in niedrigster Höhe ein Wegkommen noch möglich war, kurbelte ich neben, nicht über dem Funkturm, um wieder hochzukommen, viel zu spät sah ich ein, dass die Außenlandung unvermeidlich sein würde. Die möglichen Außenlandefelder sind in dieser Gegend weder häufig, noch besonders geeignet. So wählte ich das nächstbeste um im Anflug festzustellen, dass es doch sehr viel kürzer war, als gedacht.

Noch dazu gelang mir keine Ziellandung, erst etwa in der Mitte des Feldes konnte ich die Ka6 an den Boden zwingen, von sauber abfangen gar keine Rede und trotz der einigermaßen funktionierenden Bremse kam das Ende des Feldes schnell näher. Mit dem letzten Rest an Energie rollte die Fromme Helene über den Weg am Feldrand und plumpste mit einem vernehmlichen Knacks in den dahinter liegenden Minigraben.

Die Kielleiste des empfindlichen Holzrumpfes war angebrochen. Katastrophe! Der Empfang am Flugplatz mit der lädierten Ka6 auf dem offenen Hänger war niederschmetternd, diejenigen, die es ja schon immer gewusst hatten, dass das Überlandfliegen ein überkandidelter Blödsinn ist, konnten ihrem Ärger darüber, dass der Flieger „zerstört“ war gar nicht laut genug Ausdruck verleihen. Nur der Ausbildungsleiter, eben jener, der immer gedroht hatte, den möglichen Verursacher eines Schadens mit einem „rostigen Nagel“ zu erstechen, ausgerechnet der spendete mir Trost, sprach davon, dass der Schaden ja gar nicht so groß wäre und empfahl mir, mit dem Flugzeug gleich zum Luftfahrttechnischen Betrieb Eichelsdörfer nach Bamberg zu fahren und in spätestens einer Woche würde die Ka6 wieder fliegen.

Es steckte also doch ein Fliegerherz im Sepp und sein Zuspruch half mir über diesen Dämpfer meiner Karriere hinweg. Am Montag lieferte ich die Ka6 bei Eichelsdörfer ab, und am Freitag der gleichen Woche konnte ich sie schon wieder abholen, so dass sich die Befürchtungen der Platzhirschen, die Ka6 würde wochenlang nicht zur Verfügung stehen, letztlich in nichts auflösten.