Die ersten 700 km!

tl_files/images/laune.jpgDrei Wochen Regen, Kälte und ... Fliegerpause, dann endlich, in der letzten Juniwoche des Jahres 1995, kündigt sich besseres Wetter an. Der Zufall will es, dass meine freien Tage auf den 28., 29. und 30. Juni fallen. Arne Neumayr, Erwin Daschner, Roland Wels und Helmut Wiesner, ein Fliegerkamerad aus Schwandorf, finden sich in Kufstein ein, um gemeinsam zu fliegen. Etwas später kommt noch Horst Brettel mit seiner Libelle hinzu.

Mittwoch, 28. 06. 1995

Auf Grund der vorangegangenen Regenwochen ist es im gesamten Alpenraum noch sehr feucht. Am Morgen liegt diesige, wässerige Luft über Kufstein. Der Segelflugwetterbericht ist nur wenig optimistisch. Trotzdem beschließe ich ein 500er Dreieck anzumelden.

Erste Wende, die Kirche von Susch im Unterengadin, zweite Wende, der TV-Sender auf dem Hauser Kaibling im Ennstal. Erst gegen ½ 1 Uhr bin ich mit dem Start an der Reihe. Während des F-Schlepps zeigt der Fahrtmesser nur 70 km/h an. Natürlich kann das nicht richtig sein, wahrscheinlich ist der Schlauch, der den Staudruck für den Fahrtmesser liefert verstopft oder abgeknickt.

Ich fotografiere den Flugplatz von Kufstein von Osten und gleite mit McCready "0" zu den niedrigen Hügeln rund um den Thiersee. Knapp unter Hangkante beginnt der mühsame Aufstieg mit 0,5 bis 1 m/s am Trainsjoch. Die Kirche von Landl leuchtet hell in der immer noch milchigen Nachmittagssonne. Nach endlosen 20 Minuten kann ich zum erstenmal über dem Grat einkurven und sofort springt die Varioanzeige auf 2 m/s. Immer noch zeigt der Fahrtmesser unrealistische Werte an, das wird sich wohl während des Fluges nicht mehr ändern. Solange ich nicht landen will, ist das nicht weiter tragisch, aber im Landeanflug heißt es aufpassen. Mittlerweile ist auch Arne mit der AX in der Luft und arbeitet sich langsam auf knappe 2200 m/NN hoch. Am Sonnwendjoch vorbei gleiten wir vorsichtig zum Guffert. Wenn der nicht "geht", kann man den Tag "vergessen".

Die Wetteroptik gegen Westen ist alles andere als ermutigend. Nach etwa 2 m/s am Guffert geht es weiter zum Rofan. Das mächtige Massiv ist mit Wolken eingehüllt, aber nördlich des Hochiss, an der Köglalm stehen 1,5 m/s, die uns auf 2600 m/NN heben.

Die Entscheidung, auf der Inntalseite der Nordkette vorwärts zu fliegen, endet beinahe mit einer Landung in Innsbruck, erst die Reitherspitze, der westlichste Berg im Karwendel liefert wieder vernünftiges Steigen. Arne hat zu kämpfen und fällt auf Grund des schlechteren Gleitwinkels der ASW 24 zurück. Ab jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Immer noch mit Ring "0" fliege ich die Hohe Munde in den Mieminger Bergen an. Wie immer kostet die Querung des Plateaus von Seefeld viel Höhe. Die steilen Felsrinnen der Mieminger tragen nur schlecht und erst am Westende der Mieminger kann ich die nötige Höhe erkurbeln um zum Tschirgant weiterzufliegen.

Langsam, ganz langsam steigen die Wolken an und am Gipfelkreuz des Tschirgants liegt die Basis erstmals über dem Gipfel. Am Venetberg bei Landeck schwingt sich die ASW 22 elegant auf 2800 m/NN, hoch genug, wenn man hier wenden und zurückfliegen will, aber für den Einstieg in das Oberinntal ist das nur ausreichend, keineswegs komfortabel. 30 Minuten lang suche ich am Matekopf, dem ersten Berg der Samnaungruppe nach Steigen. Mal unter mal über dem Grat versuche ich einen brauchbaren Bart "auszugraben". Endlich bricht die Thermik durch die hartnäckige Inversion.

In wenigen Minuten erreiche ich die Basis in etwa 3200 m/NN. Das stark ansteigende Gelände in Richtung Pfunds zwingt zur Vorsicht, denn wer im Engadin "absäuft", braucht nach der Landung nur noch einen kleinen Anhänger um sein ehemaliges Segelflugzeug zurückzuholen. Bei Pfunds wechsele ich hinüber zur Finstermünzgruppe. Jeder Bart trägt jetzt zu größeren Höhen, Finstermünz 3400 m/NN, Schuls 3600 m/NN und schließlich Susch 3700 m/NN. Schnell die Wende umrunden und zurück nach Landeck.

Schon von weitem sieht man den Venetberg, der mittlerweile eine prächtige Wolke produziert. Ohne Kreis erreiche ich den Tschirgant, immer noch über Gipfelhöhe. Der Hausbart liefert zwar mittlerweile über 4 m/s, aber ich bin knapp unter der Basis und kann deshalb nur bedauernd weiterfliegen. Die Entscheidung, nicht mehr an die vom Hinflug enttäuschenden Mieminger Berge, sondern gleich nach Süden in die Stubaier Alpen zu wechseln, erweist sich an diesem Tag als fataler Fehler.

Zu spät um wieder auf die Nordseite des Inntales zu wechseln gleite ich durch minutenlanges "Saufen" mit bis zu 6 m/s bis zu den Kalkkögeln.Als sich auch dort kein brauchbares Steigen findet, bleibt nur die Querung der Kontrollzone von Innsbruck um vielleicht an der Hungerburg am Fuße des Hafelekars Anschluss zu finden.

Der Innsbrucker Towerlotse bittet um beschleunigte Überquerung des Platzes, das kostet natürlich zusätzlich Höhe und so erreiche ich die Nordkette in "Ameisenkniehöhe". Nach einer Stunde, bin ich endlich auch im Achterfliegen, ganz eng am Berg, mit der ASW 22 fit. Leider ist es mittlerweile schon ½ 6 Uhr abends und so bleibt nur der 70 km lange Endanflug nach Kufstein.

Der anstrengende Flug endet mit einer meiner zweitbesten Landungen. Viel zu schnell nähert sich die ASW 22 dem Flugplatz, zwar zeigt der Fahrtmesser nur 45 km/h an, aber das Ausschweben dauert ewig und der Platz wird immer kürzer. So fällt die Landung nur sehr mittelmäßig aus.


Donnerstag, 29. 06. 1995

Der Wetterbericht ist etwas optimistischer als am Vortag, die Aero-Club-Crew auch. Eine Inspektion der Schlauchverbindungen bringt einen Knick zutage, der mit einfachen Mitteln beseitigt wird, denn mit einer korrekten Fahrtanzeige fliegt sich doch leichter.

Arne meldet 600 km an, ich habe noch Zweifel, wie groß die Strecke werden soll, schließlich siegt aber der Ehrgeiz und so plane ich ein Vieleck von Kufstein nach Landeck zur Eisenbahnbrücke, danach zum Hauser Kaibling Sender im Ennstal, dann zurück nach Imst um die Straßenkreuzung zu fotografieren und schließlich, wenn alles gut geht, wieder zurück nach Kufstein. 709 km sind das und ein merkwürdiges Gefühl stellt sich in der Magengrube ein. So weit bin ich vorher noch nie geflogen.

Im Gegensatz zum Vortag geht heute bei der Vorbereitung des Fluges alles wie "geschmiert". Die ASW 22 steht schon um 1015 Uhr am Start, der unentbehrliche Schlepp-Pilot findet sich ein und schon um 1028 Uhr befinde ich mich in der Luft. Der Fahrtmesser funktioniert einwandfrei. 20 Minuten später fotografiert auch Arne seinen Abflugpunkt und gemeinsam machen wir uns auf den Weg nach Westen.

Die Basis ist etwas höher als am Vortag, aber immer noch niedriger als gewöhnlich. Schon am Guffert wird klar, dass mit dem Inntal etwas nicht stimmt, die Wolkenobergrenze ist unter den Gipfeln der Nordkette anzutreffen. Weiter nördlich, im zerklüfteten Karwendelgebirge stehen die Wolken allerdings deutlich höher und versprechen zuverlässiges Steigen.

Arne kommt am Guffert im Gegensatz zu mir unter Hangkante an und muss sich mühsam hocharbeiten. Wir verlieren uns aus den Augen. Nördlich am Rofan vorbei quere ich das Achental und fliege die einzige vernünftige Wolke an der Rappenspitze, westlich von Pertisau am Achensee an. Knapp über dem Gipfel liefert sie komfortable 2 m/s bis zur Basis in etwa 2900 m.

Nun ist guter Rat teuer, wenn ich zum Inntal fliege, muss ich mindestens 1200 m "verheizen", um unter die niedrige Basis zu kommen, andererseits flößt die Landschaft des Karwendels Respekt ein. Auf dem nördlichen Weg bin ich noch nie geflogen und obwohl ich genau weiß, wo ich bin, fühle ich mich zwischen den hohen Felswänden der Vomperkette und der nördlichen Karwendelkette nicht besonders wohl. Vorsichtig taste ich mich durch das Engtal, das seinen Namen zu Recht trägt nach Westen. Die Südwände der nördlichen Karwendelkette liefern zwar kein brauchbares Steigen, aber ich verliere kaum Höhe bis nach Scharnitz.

Arne ist mittlerweile noch weiter nach Norden ausgewichen und fliegt an der Soiernspitze vorbei zum Wank bei Garmisch-Partenkirchen. Zum erstenmal quere ich das Leutaschtal und finde am Wettersteingebirge, das ich bisher immer nur von der Ferne bewundert habe gutes Steigen und eine relativ hohe Basis von 2900 m/NN. Das Inntal ist immer noch mit feuchter Luft gefüllt und entsprechend niedrig stehen dort die Wolken. Also bleibt nur der Weg zur Zugspitze.

Dann quere ich das Gaistal hinüber zum Wannig, der westlichsten Spitze der Mieminger Berge. Hoch über den Wolken im Inntal gleitet die ASW 22, jetzt schon mit McCready 1,0 m/s weiter zum Venetberg. Um 1230 Uhr ist die erste Wende geschafft. Ein Schnitt von nur 65 km/h stimmt mich nur mäßig optimistisch für den weiteren Flug. Innerhalb von wenigen Minuten verändert sich die Wetteroptik im Osten zum Positiven. Der Tschirgant lockt mit einer prächtigen Wolke, die über 3 m/s integriert liefert. Jetzt ist auch die Basis an den Miemingern knapp über Hangkante und auch die Nordkette sieht brauchbar, wenn schon nicht gut aus. Von der Reitherspitze weg erlebe ich ein Schauspiel, das mir immer in Erinnerung bleiben wird.

Während die Sonne die schroffen Wände des Hafelekars kräftig aufheizt, wabern in etwa 50 m Entfernung vom Hang noch einige feuchte Wolken weit unter Hangkante hin und her. Mit hoher Fahrt gleitet die ASW 22 zwischen den hell erleuchteten Felshängen und den grauen Regenwolken hindurch. Am Hochnissl, dem östlichsten Gipfel der Vomperkette nutze ich 2 m/s bis an die Basis und quere das Inntal, hin zum Kellerjoch am Eingang zum Zillertal.

In der Vergangenheit hat mich das Kellerjoch immer wieder enttäuscht und ich musste weiter gleiten zum Kreuzjoch um dort ganz niedrig wieder anzufangen. Dieses Mal allerdings verlasse ich das Kellerjoch mit stolzen 2900 m/NN. Am Kreuzjoch angelangt kann ich nördlich des Gipfels den Grat überfliegen und direkt zum Gerlos fliegen. Um 1400 Uhr passiere ich den Gerlos-Stausee und der Pinzgauer Spaziergang macht seinem Namen alle Ehre. Ring 2,0 m/s und ab geht die Post.

Mit 160 bis 200 km/h jagt die ASW 22 nach Zell am See, vorbei an der Schmittenhöhe hinüber zum Honigkogel, dort treffe ich mit 200 km/h mitten in einen 4,5 m/s Bart. 60° Schräglage, 110 km/h, Knüppel an den Bauch und wenige Minuten später wendet sich die Bugspitze 3200 m hoch, Richtung Osten. 70 km waren das in weniger als 30 Minuten. Die Zuversicht wächst, das es dieses Mal gelingen wird, die 700 km zu bezwingen.

Arne war zu diesem Zeitpunkt weniger glücklich. Der Einstieg in das Oberinntal war im völlig missglückt. Mit knapper Not konnte er sich noch in landbares Gelände am Fuße des Venetberges retten, aber ein Anschluss an die prächtige Thermik des Tschirgants war nicht mehr möglich. So kam es, dass die AX schon nach 2 ½ Stunden den Boden bei Telfs küsste. Den restlichen Nachmittag konnte Arne aber dann genau die Thermikentwicklung am Tschirgant und den Mieminger Bergen beobachten.

Östlich der Dientener Berge werden die Abstände zwischen den Bärten deutlich größer, aber die Steigwerte, zwischen 3,0 und 4,5 m/s sorgen für eine hohe Schnittgeschwindigkeit. Am Hochgründeck beschließe ich, zur Hauptkammseite zu wechseln. Die Schladminger Tauern belohnen diesen Entschluss mit phantastischen Bärten. Um ¾ 4 Uhr fotografiere ich den Sender auf dem Hauser Kaibling und fliege auf der Hauptkammseite zurück Richtung Imst.

Seit 2 Stunden steht der McCready-Ring ausnahmslos auf 2,0 m/s. Zwischen den Bärten sinkt die Geschwindigkeit praktisch nie unter 170 km/h. Von Zell am See bis zum Zillertal benötige ich nur zwei Kreise mit mehr als 5 m/s um knapp unter der Basis in 3500 m/NN dahinzuschießen. Das Zillertal wird mit der üblichen Vorsicht überquert, der schwache Bart am Kellerjoch wird nur quot;weggezogen". Die Nordkette ist mittlerweile voll entwickelt und ermöglicht einen schnellen Vorflug bis zur Reitherspitze. Dort angekommen fällt die Entscheidung schwer, die Mieminger zeigen gute Entwicklungen, aber auch an den Stubaier Bergen stehen kräftige Quellungen.

Trotz der schlechten Erfahrungen vom Vortag entschließe ich mich zum direkten Flug über die Stubaier nach Imst. Der Wetterkreuzkogel bei Oetz belohnt diesen Entschluss mit über 4 m/s bis auf 3200 m/NN. Noch nie war ich so spät so weit im Westen von Kufstein. Der Tschirgant hat jegliche Thermik abgeschaltet, aber genau über der letzten Wende, der Straßenkreuzung von Imst finde ich solide 2 m/s integriert.

Es ist ¾ 6 Uhr abends und noch sind 110 km zu fliegen. Über die Mieminger Berge zurück zur Reitherspitze führt der Heimflug. In 2700 m/NN verspricht der Endanflugrechner "es reicht locker nach Hause"-. Die Höhenreserve beträgt 700 m und eigentlich kann jetzt nichts mehr passieren. Hundertmal habe ich allen Neulingen in den Bergen erklärt, am späten Abend um Gottes Willen nicht mehr an die Nordkette zu fliegen, auf die Südseite wechseln und die sonnenbeschienenen Hänge der Tuxer Alpen zum Heimflug nutzen.

Im Hochgefühl, die Strecke gemeistert zu haben, vergesse ich alle diese guten Ratschläge und ... 3 Minuten später ... befinde ich mich mehr als 1000 m tiefer, außerhalb des Gleitwinkelbereiches von Kufstein. So kurz vor dem Ziel, alles umsonst?

Unerbittlich geht es abwärts bis zur Walder Alm am Vomperloch. Dort finden sich mickrige 0,8 m/s. Mühsam schwingt sich die ASW 22 auf eine Höhe, die zum Überqueren des Inntales gerade so ausreicht. Das Kellerjoch macht seinem Namen alle Ehre. Ich befinde mich wirklich im Keller und eine Außenlandung scheint unvermeidlich, da entdecke ich einen kreisenden Adler an der schattigen Ostseite des Kellerjochs.

Mit vorsichtigen Kreisen lassen sich 0,3 m/s zentrieren. Eine Stunde später zeigt der Rechner wieder Endanflughöhe plus 200 m an. Die letzte, selbstverschuldete Hürde ist überwunden, 15 Minuten später ist Kufstein erreicht. Dieses Mal ist die Landung perfekt, und meine erste 700 km - Strecke im "Sack". An diesem Abend wird noch lange gefeiert, Arne "versenkt" seinen Kummer in 4 halben Weißbier und einigen Obstlern und freut sich schließlich genauso wie ich auf den nächsten Tag, der noch mehr verspricht.


Freitag, 30. 06. 1995

Der Wetterbericht ist glänzend, die Wetteroptik genauso. Trotzdem beschließen wir, ein eher kleines Dreieck anzumelden, weil wir am Abend unsere Flugzeuge wieder in Oberschleißheim abliefern müssen. Kufstein - St. Anton am Arlberg Bahnhof - Hauser Kaibling Sender - Kufstein lautet die Aufgabe, 540 km.

Die "gute Fee" von Kufstein, Waltraud Reinhardt, die am Vortag für das rechtzeitige Erscheinen des Schlepppiloten sorgte ist heute nicht am Platz, und prompt stehen wir am Start und alles ist da, nur kein Schlepppilot. Schließlich aber sorgt der Flugbetriebsleiter von Kufstein, Arthur Rinnhofer, für eine Schleppmöglichkeit und so ist die VV um 1129 Uhr wieder in der Luft. Die AX folgt 45 Minuten später, VV aber ist zu dieser Zeit schon um 50 km voraus, die Basis ist annähernd bei 3000 m/NN und die Steigwerte sehr zufriedenstellend.

Die Nordkette bietet diesesmal schon am frühen Nachmittag gute Thermik. Während des ganzen Fluges bleibt der McCready-Ring auf 2,0 m/s stehen und der gesamte Flug verläuft völlig problemlos. Um 1759 Uhr, also nach genau 5 ½ Stunden landet die ASW 22 wieder in Kufstein. Die Schnittgeschwindigkeit vom Start bis zur Landung beträgt 98 km/h, vom Ausklinken bis zum Überflug ergeben sich sogar 105 km/h. Das Segelfliegen in den Alpen, so dachte ich mir während des langen Endanfluges an diesem Tag, gehört sicher zu den schönsten fliegerischen Erlebnissen, die man sich vorstellen kann.