Greilinger Tagebuch Teil 2

12. Mai 2001 Der Denkzettel

Der Tag verspricht, wenn man der Wettervorhersage glauben darf, sehr viel. Angemeldet 700 km FAI-Dreieck mit Wenden bei Sils im Engadin und am Dobratsch nahe Nötsch. Es geht offenbar schon sehr früh los mit der Thermik, allerdings ist die Wolkenbasis überraschend niedrig.

Ich starte mit der VV als Erster und finde sofort nach dem Ausklinken einen ruhigen 1 m/s Bart, der mich auf 1500 m anhebt und am Blomberg geht es ebenfalls mit ruhiger Thermik weiter auf 1800 m, danach direkt über der Benediktenwand (Westseite) hebt es mich mit knapp 2,0 m/s auf 2000m/NN.

Am Soierngrat tut sich schlicht gar nichts, an der Nordwestseite des Karwendelgebirges tut sich erst recht nichts, ich habe mich offenbar "verbastelt". Der Weg kann nun eigentlich nur noch zurück Richtung Benediktbeuern führen. Es sei denn, man hat nicht realisiert, dass der Tag thermisch noch nicht so richtig begonnen hat. Ankunft an der Südostseite der Ahrnspitzen in 1550 m, zu wenig um sich noch in das Inntal zu wagen und daher gibt es nur noch den Weg zurück nach Norden Richtung Krün.

Unausweichlich sinkt die ASW22 tiefer und die Außenlandung wird unvermeidbar. So kommt es dass ich knapp eine Stunde nach dem Start in Greiling auf der Außenlandewiese bei Krün sitze und mich, während die JP stolz Richtung Füssen weiterfliegt mit dem Kramerbauern herumstreiten muss, warum ich denn nicht zuhause geblieben wäre, anstatt ausgerechnet auf seiner kostbaren Wiese zu landen. Ganz so als wäre ich freiwillig hier gelandet.

Am selben Tag flog Hans Fitterer mit seinem Discus ein 800 km FAI Dreieck von Geitau mit Wenden bei St. Moritz und Seeberg. Er startete 26 Minuten nach mir, exakt mit Einsetzen der zuverlässigen Thermik.


Samstag, 23. Juni 2001 Ganz alleine!

Der Tag beginnt mit einer pessimistischen Wetterprognose. Schon am Vortag hatte Hermann Trimmel das folgende Wetter angekündigt: Von Westen her setzt sich langsam Hochdruckeinfluss durch. Am Vormittag im Osten noch Restfeuchte. Der kräftige Höhenwind aus etwa 300° ist meiner Meinung nach für größere Streckenflüge eher noch hinderlicher.

Was macht man aus einer solchen Vorhersage? Klar ist dass es im Westen gut sein wird, Katrin verspricht beim morgendlichen Briefing, dass das Wetter etwa am Arlberg gut zu werden beginnt. Am Platz haben wir noch 6 bis 7 Achtel Wolken und beileibe keine üppige Basishöhe. Also beschließen die Streckenflieger, allen voran Reinhold und Herby mit der JP und ich mit der VV eine kleinere Strecke zu fliegen. JP meldet 580 km an mit Wenden bei Zernez, an der Tauernautobahn und zum Schluss noch Warngau. Ich bin vorsichtig und begnüge mich mit 538 km FAI Dreieck Greiling - Zernez - Bad Gastein - Greiling.

Ich starte wie fast immer als erster und komme ohne Probleme weg, das heißt so ganz problemlos erscheint die Sache dann nicht, denn aus der erzielten Schlepphöhe von 1100 m/NN werden mit Hilfe des ersten Bartes nicht recht viel mehr als 1600 m/NN. Damit gleite ich zum Blomberg und schaffe dort stolze 1800 m/NN. Das sollte für lange Zeit meine höchste Höhe bleiben. JP startet erst gar nicht, weil der Rückenwind zu stark ist für einen sicheren Windenschlepp mit der schweren ASH25. Später wird sich herausstellen, dass sich die Bedingungen im Platzbereich eher verschlechtern als verbessern.

Gut, ich bin also wieder einmal alleine unterwegs, vorsichtig gleite ich zum Herzogstand dann zum Ettaler Mandl immer wieder von 1500 m hoch auf 1800 m. Ohne den Flugplatz Eschenlohe als Rettungsanker wäre ich bereits wieder umgekehrt, denn das Außenlanderisiko ist enorm hoch.

Am Kramer nordwestlich von Garmisch geht es wieder nur auf 1900 m aber ein blauer Streifen zeigt sich am Horizont im Westen, das ermutigt mich, weiter zu fliegen zum Daniel, natürlich immer noch mit McCready 0 m/s um jeden Meter Höhe zu sparen, auch wenn das gegen die Theorie ist. Am Daniel angelangt muss ich einige Zeit suchen aber dann hebt es das Heck der ASW22 mit Urgewalt an, völlig überraschend bin ich in einem Hammerbart gelandet, mit 60° Schräglage und 110 km/h am Stau schraubt sich die ASW22 wie auf Schienen nach oben 5,5 m/s zeigt der Integrator und erst in 2700 m/NN muss ich wegen der sich nähernden Basis aufhören zu kurbeln. Es ist geschafft. Das gute Wetter ist erreicht und ab jetzt läuft alles wie am Schnürchen, nein noch besser...

An der Heiterwand steigt die Basis noch einmal um satte 1000 m an auf 3700 m. Die Jagd nach der bisher verlorenen Zeit beginnt. Mit McCready 2 m/s lasse ich den Tschirgant aus und fliege direkt zum Venetberg von dort aus 3900 m weiter zum Hexenkopf, dann zum Muttler, weiter quer über das Tal zur Piz Lischana und von dort wieder mit fast 4000 m Höhe zum Piz Nuna. Das unerwartet phantastische Wetter bringt mich auf den Gedanken, nicht wie üblich am Inntal entlang wieder zurück zu fliegen, sondern weit im Süden, praktisch genau auf der Kurslinie zu bleiben.

Die Wetteroptik in den Ötztaler Alpen ist so gut, dass ich beschließe den kürzesten Weg zu fliegen, erstmals in meiner 25jährigen Alpenflugpraxis.

Erst 5 Tage später werde ich Gelegenheit finden, die Namen der Bergspitzen auf der Karte zu finden, die immer wieder das nötige Steigen liefern um die hohen Grate überfliegen zu können. An der Westseite des Kaunertals liefert der Plattigkopf einen guten 5 Meterbart. Weiter ins Pitztal zur Hohen Geige, wieder auf 3800 m/NN angelangt fliege ich, jetzt schon sicher, dass diese Wahl des Flugweges kein Fehler war weiter quer über das Ötztal knapp nördlich an Sölden vorbei zur Ruderhofspitze. Die Aufregung legt sich, der Puls kehrt in den normalen Bereich zurück, denn hier werden die Berge wieder niedriger und vor allem die Gegend ist mir wieder bekannt.

Das Wipptal wird zwischen Steinach und Gries am Brenner überquert. Nahe am Olperer nutze ich den kräftigen Nordwestwind um fast ohne Höhenverlust am Hauptkamm entlang zu gleiten. Schon länger höre ich im Funk einige Kameraden, die sich gar nicht mehr einkriegen können, weil am Großvenediger eine Welle steht, die das Überhöhen des mächtigen Massivs erlaubt und im Hinterkopf bekommt das umrunden des Dreiecks nicht mehr die erste Priorität. Ich war noch nie über dem Großvenediger und ich bin fest entschlossen diese Chance zu nutzen.

An der Ahornspitze hole ich mir die Höhe um ohne Probleme am Gerlospass vorbei zu kommen. Dann wähle ich wie über Funk mehrfach zu hören den zweiten Grat östlich von Krimml um den Großvenediger anzugehen. Aus der Karte entnehme ich später, dass es sich um das Obersulzbachtal handelt. Der Grat führt direkt auf die Spitze des Großvenedigers zu, der immerhin 3674 m hoch ist und durch die rund um den Gipfel gelegenen hohen Gletscherfelder wenig Aufwinde produziert.

Der mittlerweile stramme Nordwestwind (60 km/h aus 320° meldet der Rechner) ermöglicht es, direkt unter der Spitze am Nordwesthang einige Achter zu fliegen um die restlichen 1200 m Höhe gut zu machen, dann ist es geschafft. Ich fliege zwei Kreise in laminarem Steigen über dem Gipfelkreuz des Großvenedigers.

Drei andere Segelflugzeuge befinden sich in unmittelbarer Nähe, sie fliegen mit Kurs 320° ab um die gemeldete Welle weiter auszunutzen. Meine Entscheidung jetzt nicht noch mehr Zeit zu verlieren gründet sich vor allem darauf, dass ich heute darauf verzichtet habe, den Sauerstoff mitzunehmen. Ein weiterer Zeitverlust, nur um dann wenige hundert Meter höher deswegen aus der Welle aussteigen zu müssen scheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein. So verlasse ich diese Eisriesenwelt mit etwas Wehmut um mich wieder ganz auf die geplante Strecke zu konzentrieren.

Die ASW22 gleitet aus 3950 m/NN Richtung Osten zur zweiten Wende. Bis fast nach Bad Gastein fliege ich mit wenigen Schlenkern, um den Wolkentürmen rings umher auszuweichen, geraden Weges zur Wende. Um kurz nach 5 Uhr wende ich am Bahnhof von Bad Gastein und nutze jetzt verstärkt den Nordwestwind um an den Graten des Hauptkammes wieder nach Westen vorwärts zu kommen. Am Gerlosstein steht der letzte Bart, den ich brauche um flott nach Hause gleiten zu können.

Rechtzeitig zu Beginn des Spanferkelessens bin ich wieder zurück in Greiling. Schon während ich das Flugzeug aus der Bahn schiebe, kann ich meine unbändige Freude über diesen erlebnisreichen Flug nicht verbergen. Jeder der mir begegnet weiß, schon bevor ich überhaupt etwas sagen kann, dass ich einen ganz außergewöhnlichen Flug hinter mir habe. An diesem Abend musste ich die Geschichte des Fluges noch viele Male erzählen und erst nachts um 1 Uhr finde ich den notwendigen Schlaf für den morgigen Tag, der noch viel besser zu werden verspricht.

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Greiling-Zernez-Bad Gastein-Greiling