Greilinger Tagebuch Teil 3

Sonntag, 24. Juni 2001 Demut

Das Wetterbriefing ist vielversprechend, der Blick in die Berge ermutigend. Ich schreibe 700 km auf, Wenden bei Pontresina und Nötsch. Die Besatzung der JP (Herby und Dieter Pfaff) wollen bei Pontresina und am Katschberg wenden, das sind 653 km. JP startet als erstes und kann sich, wenn auch mit äußerster Mühe in der Luft halten. 15 Minuten später starte ich mit VV und......
lande nach 17 Minuten wieder in Greiling, nicht ein Lüftchen hat sich geregt, es ging nicht rauf, aber auch nicht runter, es ging gar nichts. Inzwischen ist JP unterwegs zum Blomberg und verschwindet vorerst aus dem Blickfeld rund um den Platz. Das macht demütig.

Die Kameraden, die am Vortag noch so etwas wie Bewunderung erkennen ließen, zeigten sich jetzt von einer anderen Seite. Sicher sind die kleinen, spitzen Bemerkungen über das Absaufen der VV nicht böse gemeint, aber ich spüre schon etwas Frust aufkommen und beschließe, erst Mal die anderen starten zu lassen. Erst um halbeins bekomme ich wieder genug Motivation um wenigstens einen zweiten Versuch zu starten. Verkürzt auf die gestern geflogene Strecke probiere ich noch einmal weg zu kommen.

Siehe da, es klappt von Anfang an reibungslos. Ein Bart am Platz, einer am Blomberg, ein dritter in der Jachenau und dann der Anflug auf den Soierngrat. Ein zweites Langohr kurbelt zusammen mit mir am Ostende des Soiern in einem 2 Meter Bart. In 2200 m beschließe ich weiter zu fliegen zur Spitze. Da musste es doch besseres Steigen geben.

"Kawumm!" Der Bart katapultiert mich von der Soiernspitze im Raketentempo nach oben. 5,5 m/s integriert. Das geht ja gut los. Die fremde ASH25 kann nicht mehr folgen, bis sie unten endlich einsteigt, bin ich bereits an der Basis angekommen. In 3700 m fliege ich ab Richtung Ahrnspitzen.

Selten habe ich einen Tag mit so vielen Bärten über 5 m/s durchschnittliches Steigen erlebt. Ich beschließe, nur einzukreisen, wenn das Vario mehr als 3 m/s anzeigt. Sollte der Bart während des ersten Kreises nicht über 4 m/s anbieten, fliege ich sofort weiter zum nächsten Bart.

Diese Taktik erweist sich als genau passend für den Tag. Nach knapp 2 Stunden wende ich in Zernez, nach weiteren zwei Stunden bin ich schon in Bad Gastein. Der Flug durch das Engadin gelingt beinahe spielerisch, einzig am Muttler musste die richtige Entscheidung getroffen werden, nicht weiter auf der Nordseite zu fliegen sondern rechtwinklig auf kürzestem Weg zur Südseite des Tales zu queren. Ein 6 ½ Meter Bart an der Elferspitze, westlich des Reschenpasses belohnt diesen Haken. Wieder ist es mir vergönnt den Weg quer durch die Ötztaler zu fliegen.

Mit Ausnahme des Ausfluges zum Großvenediger verläuft der Flug entlang des Hauptkammes mit Unterstützung durch den immer noch kräftigen Nordwestwind ebenso problemlos wie am Vortag. JP ist immer noch voraus und wendet am Katschberg, kurz bevor ich Bad Gastein umrunde. Der Rückweg ist eigentlich klar vorgezeichnet. Am Hauptkamm entlang fliegen bis zum Gerlos und dann mit mehr als 1000 m Reserve nach Hause zischen, so habe ich mir das gedacht. Unterwegs stelle ich fest, dass die Gegenwindkomponente immer weiter anwächst, bis zu 40 km/h auf die Nase, das ist nicht das, was ich will. Spontan beschließe ich querab von Mittersill direkt nach Hause zu fliegen. 200 m Reserve und eine prächtige Wolke über dem Wildkogel, das müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht nach Hause reicht.

JP nur noch wenige Kilometer hinter mir, bleibt am Hauptkamm. Ich stelle verblüfft fest, dass die Wolke am Wildkogel zwar sehr schön ausschaut, aber leider eine niedrige Basis aufweist, ich komme in Basishöhe an. Der Rechner zeigt 70 m Reserve bei McCready 0 m/s. Zurück zum Hauptkamm? Das geht nicht mehr, also weiter auf Kurs Heimat.

Über der Wildschönau wenig bis kein Sinken. Reserve 190 m. Ein mickriger Bart am Südrand des Inntales, Reserve 280 m. Schlechte Sicht nach vorne, ich kann nur Kurs fliegen und hoffen, dass ich die Lücke finde, durch die ich nach Greiling gleiten kann. Die Gefahr in ein Lee zu fliegen sorgt für einen hohen Adrenalinspiegel. Ankunft am Kienberg und drei Kreise mit 0,5 m/s Steigen. Reserve 380 m, das musste doch jetzt endlich reichen, auch wenn noch reichlich Berge zwischen Greiling und der ASW22 liegen.

Endlich kann ich auch den Tegernsee herausblitzen sehen aus der grauen Luftmasse vor mir. Den Spitzingsee lasse ich rechts liegen, dem Wallberg auf der linken Seite will ich nicht zu nahe kommen, denn immer noch kann ein kräftiges Lee alle Reserven aufbrauchen. Erst vor wenigen Wochen saß Bernhardt mit seinem Ventus bei Rottach-Egern, obwohl er genügend Reserve zu haben glaubte.

Dann, endlich am Wallberg vorbei, bin ich sicher, das nichts mehr schief gehen kann. Nach 6 Stunden war es geschafft. Zum zweiten Mal hintereinander 537 km FAI-Dreieck angekündigt und auch umrundet. JP landet wenige Minuten später nach erfolgreichen 650 Kilometern.

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Greiling-Zernez-Bad Gastein-Greiling


Montag,25. Juni 2001

650 km FAI-Dreieck. Wieder ein anderer Endanflug.

Montag sollte eigentlich der beste der letzten drei Tage sein. Hajo hatte angekündigt, dass einer ganzen Schar von Richtern und Staatsanwälten der Sinn nach Fliegen stünde. Schon am frühen Morgen waren einige Flugzeuge aufgebaut und gegen 1100 Uhr startet die ASW22 zu dem geplanten FAI-Dreieck über 650 km mit Wenden bei Pontresina und dem Katschberg.

Etwas zögerlich, wenn auch mit zuverlässigem Steigen beginnt der Tag ähnlich wie der Vortag. Die Wolkenbasis normal hoch am Blomberg 2100 m, an der Benediktenwand 2300 m und am Soiern schließlich 2500 m.

Die Thermik ruppig und mit Steigwerten die sich mit dem Vortag in keiner Weise messen können. Also vorsichtig und vergleichsweise langsam dahingleiten ist angesagt. Überraschungen bleiben aus, vielleicht etwas ungewöhnlich der runde 2 Meter Bart am Ostende der Hohen Munde. Tschirgant wie immer etwas besser als alle anderen Bärte vorher, der Venetberg liefert 3400 m, mit denen man beruhigt in das obere Inntal gleiten kann.

Das Engadin zeigt sich von seiner schlechteren Seite heute, zwar reicht die Thermik schon hin und wieder auf 3800 m aber die Steigwerte sind deutlich schlechter als am Vortag und so fordert der Weg zur ersten Wende richtige Arbeit. Die Kollegen aus Paterzell irritieren mich anfangs, weil ihre über Funk abgesetzten Höhenangaben so gar nicht zu meinen eigenen Erfahrungen passen. Da meldet sich einer z. B. am Muotta´s Muragl in 2000 m, wo doch das Gelände dort schon 1900 m hoch ist und da macht es plötzlich "Klick", die fliegen nicht wie üblich mit der Höhenmessereinstellung auf Meereshöhe, sondern starten in Paterzell mit Einstellung 0 m und deshalb fehlen immer 600 m Höhe bei den Funksprüchen.

Pontresina wird um 1356 Uhr umrundet, ich bin gut im Zeitplan trotz des "schlechteren Wetters". Auf dem Rückweg fliege ich wieder auf der Südseite des Engadins um gegebenenfalls wieder quer durch die Ötztaler zu fliegen. Doch heute lässt sich das nur unvollkommen durchführen, lange muss ich an den Graten östlich des Kaunertales nach Norden ausweichen, bis mich wieder ein Bart so weit hoch hebt, dass ich in das Pitztal und später in das Ötztal überhaupt hineingleiten kann.

Aber es geht vorwärts und in den Stubaiern wird die Thermik uverlässiger, runder und stärker als noch einige Minuten vorher. Der Weg über das Wipptal und das hintere Zillertal gehört jetzt schon zur Routine. Am Gerlos vorbei halte ich mich wegen des immer noch vorherrschenden Nordwestwindes wieder an der Hauptkammseite, fliege aber im Gegensatz zu den beiden vorherigen Tagen weiter im Tal und werde dafür mit kräftigen Bärten, die sich von den grünen, teilweise bewaldeten Ausläufern der Grate lösen, belohnt.

Ab Bad Gastein dränge ich mich immer näher an den Hauptkamm, denn es gilt auf die Südseite zu gleiten Bei Hüttschlag schließlich gleite die VV über die Grate auf die Südseite der Radstätter Tauern. Die schneebedeckte Ankogelgruppe lässt den Atem stocken, so herrlich zeigt sie sich im Licht der immer noch hochstehenden Nachmittagssonne. Bis hin zum Katschberg werden die Berge immer niedriger und die Wende bietet noch ein kleines "Zuckerl", genau über dem Wendepunkt steht ein kräftiger ruhiger 3 Meter Bart, der mich auf knapp 3000 m zurückbringt.

Der Rückweg in die nördlichen Gefilde ist spielerisch leicht, ich bemitleide ein wenig die Autofahrer, die sich in einer langen Staureihe auf der Autobahn Richtung Norden befinden. Wenn sie nur ahnen könnten, um wie viel entspannter sich die Berge aus dem Cockpit eines Segelflugzeuges heraus betrachten lassen, dann würde so mancher sein Gefährt stehen lassen und gerne mit mir tauschen.

Zurück zum Flug: Die Konzentration ist mir etwas abhanden gekommen, wauml;hrend sich die ASW22 ohne große Fahrtänderungen zurück Richtung Heimat schleicht. Fast unbemerkt bin ich im Gasteiner Tal auf unter 2400 m gesunken und es wird Zeit sich wieder um die letzten 140 km zu kümmern, die mich noch von Greiling trennen.

Innerhalb von drei Tagen treffe ich zum dritten Mal eine andere Endanflugentscheidung. Von meinen Flügen in früheren Jahren, mit Ausgangspunkt Kufstein kenne ich die Gegend zwischen Zell am See und Kufstein sehr genau und wähle daher heute den kürzeren Weg nach Hause über die Dientener Berge. Vorbei an Saalfelden ziele ich genau auf das Spielberghorn südlich von Hochfilzen, dort möchte ich den Bart erwischen, der mich zum Kaisergebirge befördern soll und tatsächlich es klappt, ein sehr turbulenter Leebart wirft mich auf 2300 m und ermöglicht den Vorflug....... nein, nicht zum Wilden Kaiser, sondern Richtung Kössen. Vorbei am Schnappen ziele ich auf den Walchsee und fliege dann am Nordhang des Zahmen Kaisers entlang bis vor zur Pyramidenspitze. Die Rechnung geht auf, der Hangwind hebt mich sanft auf 2100 m und der Rechner zeigt +80 m für den folgenden Endanflug. Das ist nicht viel möchte man denken, aber die Erfahrung aus früheren Flügen verleiht Sicherheit. Wenn der Zahme Kaiser "geht", dann funktioniert das auch mit großer Zuverlässigkeit an den Hängen des Leitzachtales. Und siehe da, Brünnstein und Großer Traithen tragen gut, die Aiplspitz, nördlicher Ausläufer der Rotwand liefert noch einmal 300 m Höhe und ohne Stress genieße ich den Ausblick auf die Schlierseer und Tegernseer Berge. Nach sieben Stunden und 20 Minuten legt die VV nach dem Ausrollen die Fläche ins Gras des heimatlichen Greilinger Flugplatzes.

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Greiling-Pontresina-Katschberg-Greiling